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Workshop: Psychologisierung, Therapeutisierung, Psychoboom – Formen des Psycho-Wissens nach 1945
Prof. Dr. Viola Balz, Berlin und Prof. Dr. Lisa Malich, Lübeck 17.-18. Oktober 2024
Neue Formen des Psycho-Wissens sind aktuell im Fokus zeithistorischer Forschungen. Unter
dem Begriff der Therapeutisierung wurden dabei jene Entwicklungen beschrieben, die
psychotherapeutisches Wissen auch auf andere Professionen als Psychologie und Medizin (u.a.
Soziale Arbeit) ausdehnten und als neue Selbsttechnik etablierten (Elberfeld 2020). Dabei
wurde konstatiert, dass die Grenzen zwischen Therapie und Beratung immer mehr
verschwammen. Das (beratene) Selbst erschien nun selbst als Produkt einer Therapeutisierung
(Maassen et.al. 2011; Eitler/Elberfeld 2015). Unklar blieb dabei, wie sich jene Formen des
Psycho-Wissen genauer beschreiben lassen, die sich mit der Auflösung der Grenze zwischen
Normalität und Krankheit beschäftigen und damit einen für die Therapie eigentlich
konstitutiven Krankheitsbegriff verlassen. Werden diese Wissensformationen wirklich mit dem
Begriff der Therapeutisierung richtig beschrieben und nutzen sie überhaupt in der
Psychotherapie etablierte Verfahren (zur Kritik des Begriffs der Therapeutisierung vgl. auch
Geisthövel/Streng 2019)? Sind die neuen Formen des Psycho-Wissens Folgen jenes
Psychobooms, der seit den 1970er Jahren insbesondere in der Bundesrepublik allgegenwärtig
war (Tändler 2016)? Und in welchem Verhältnis steht der „Psychoboom“ zu jenen Formen der
Psychologisierung, die eine Zunahme des Wissens rund um die Psyche durch die
Professionalisierung der Psychologie für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreibt
(Malich/Balz 2020; Lehmbrock 2022)? Waren Therapeutisierung, Psychologisierung und
Psychoboom wirklich vor allem Themen liberaler kapitalistischer Staaten wie der
Bundesrepublik und wie lassen sich solche Probleme für sozialistische Staaten wie die
ehemalige DDR beschreiben (vgl. auch Arend/Elberfeld 2022; Balz/Geisthövel 2023)?
Auf dem Workshop soll von den Beiträger_innen die Frage diskutiert werden, welche
Gemeinsamkeiten und Differenzen die Begriffe Psychologisierung, Therapeutisierung und
„Psychoboom“ in der zeitgeschichtlichen Diskussion aufweisen, was sie genau beschreiben und
wie weit sie dabei auf psychologisches Wissen zurückgreifen. Durch die Etablierung von
Studiengängen der Diplom-Psychologie seit den 1940er Jahren entstanden neue
Möglichkeitsformen, ein Wissen der akademischen Psychologie zur Erklärung der Phänomene
rund um die Psyche zu nutzen – oder dies gerade nicht zu tun. Gerade deshalb stellt sich u.a.
die Frage, was mit einer in einigen neueren Forschungsarbeiten konstatierten Psychologisierung
genau gemeint ist: Eine Erklärung von immer mehr Phänomenen mit Hilfe des psychologischen
Wissens? Oder lediglich eine Konzentration auf die Psyche ggf. in Abkehr von politischen
Phänomenen und Problemen? Wie hängen Psychologisierung und neue historische
Vorstellungen vom Subjekt zusammen? Was genau unterscheidet Psychologisierung und
Subjektivierung sowie Therapeutisierung voneinander? Stützt sich der „Psycho-boom“
wirklich auf Wissen der akademischen Disziplin Psychologie? Zu diesen Fragen wollen wir mit
Wissenschaftler_innen ins Gespräch kommen und neue Forschungsarbeiten zum Thema rund
um die Psyche miteinander diskutieren. Dabei sollen untere anderem Forschungsergebnisse der
Forschungsgruppe Normal#verrückt vorgestellt und mit anderen einschlägig arbeitenden
Forscher_innen diskutiert werden.
Promovierenden-Workshop der FOR 30.9/1.10.2024 (Berlin)
Non-functioning and Resistance? The Psycho-Politics of Normality
Krisen erzeugen im öffentlichen Diskurs häufig den Wunsch nach
einer _Rückkehr _zur Normalität oder nach einer neuen Normalität.
Doch was impliziert diese Rede jeweils mit Blick
darauf, was zu einem gegebenen Zeitpunkt als ab-normal angesehen
wird? Aus einer reduktionistischen Perspektive mag die Definition,
was als pathologisch, (neuro)divers oder abweichend gilt,
unproblematisch erscheinen, sofern nur „objektive" Methoden zu
dessen Bestimmung angewendet werden. Doch wenn das Feststellen von
Normalität als rein deskriptive Aufgabe gilt, wird nur allzu leicht
vergessen, dass soziale Normen gerade auch auf einer präskriptiven
Ebene wirken und sowohl Identitäten und Verhaltensweisen als auch
Wissensordnungen und Definitionen prägen. Wenn Wissen über und
Definitionen des Normalen als in normative Fundamente eingebettet
sind, was bedeutet dies dann für Individuen oder Gruppen, die
diesen Definitionen nicht entsprechen? Sowohl der Workshop als auch
die Abendveranstaltung werden sich mit diesen Fragen befassen. Wir
wollen fragen, wie wir Phänomene wie Leiden, Krankheit und
allgemeines Nichtfunktionieren verstehen sollen, gerade wenn diese
eng mit kollektiven Vorstellungen davon verbunden sind, wie
Funktionieren auszusehen hat? Können wir eine Beziehung zwischen
psychischem und politischem Widerstand denken, ohne in das Klischee
zu verfallen, Defensivverhalten und Kritik gleichzusetzen? Wie
können wir ideologische Fallstricke vermeiden, wie etwa die
Romantisierung von Krankheit und Leiden, die leicht dazu missbraucht
wird, Menschen ihre rechtmäßigen Forderungen nach Hilfe
abzusprechen? Wir hoffen, dass die Gruppenarbeit und eine kollektive
Diskussion bei der Abendveranstaltung ein Gespräch darüber
eröffnen, wie wir uns in der Frage der Ab-Normalität verorten und
unsere eigenen Strategien entwickeln können, die aus persönlichen,
aktivistischen, künstlerischen und akademischen Erfahrungen
abgeleitet sind.
Der Workshop wird aus einer Gruppenarbeit mit Selbsthilfe-Tools
bestehen, die während der zweiten Welle des Feminismus entwickelten
wurden und die wir auf die Beziehung zwischen aktivistischen und
psychosozialen Strategien untersuchen wollen. Danach werden wir
Teile von George Canguilhems „Das Normale und das Pathologische"
und Johanna Hedvas Essay „In Defence of De-Persons" diskutieren.
Die Abendveranstaltung beginnt mit zwei kurzen Inputs zur Kunst von
Friedrich Schröder-Sonnenstern und Unica Zürn, deren Werke von der
Rezeption immer vor dem Hintergrund ihrer Psychiatrieerfahrungen
eingeordnet wurden. Schließlich werden wir mehr über die
Vernetzungsstrategien der belgischen Asylum Information Group
lernen, die sich in den 1970er Jahren als Befreiungsbewegung für
Psychiatrieerfahrene gründete.
SYMPOSIUM TRANSFORMATION DER GESELLSCHAFT IN DER KRISE ZWISCHEN „NORMAL“ UND „VERRÜCKT“ - SPANNUNGSFELDER EINER ERODIERENDEN DIFFERENZ
10.-11. JUNI 2024 ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN THEATERSAAL SONNENFELSGASSE 19 1010 WIEN.
Veranstaltet von der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der Österreichische Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der DFG Forschungsgruppe 3031: normal#verrückt und der Ärztekammer für Wien.
Die Geschichte der Psychiatrie war früher eine Geschichte der Differenz von „normal“ und „verrückt“. Heute kann konstatiert werden, dass diese Diffe- renz zunehmend brüchig geworden ist. Die Grenzen zwischen gesund und pathologisch sind nicht immer klar zu bestimmen. Die Deinstitutionalisie- rung von Patienten und Patientinnen geht einher mit dem Entstehen neu- er Institutionen. Selbstermächtigung sowie Machtlosigkeit von vermeint- lich Betroffenen stehen in einem kaum zu lösenden Spannungsverhältnis. Das Symposium wendet sich der Frage zu, ob und inwiefern die so zu be- obachtende erodierende Differenz durch gesellschaftliche und poli- tische Krisen besondere Wendungen erfahren, wie diese artikuliert werden und welche Konsequenzen sie für die ärztliche Praxis und Gesund- heitspolitik haben. Wie kann eine „psychiatrische Zeitgeschichte“, dazu bei- tragen, die Transformation von Gesellschaften in der Krise zu verstehen?
Podcast mit Viola Balz im Deutschlandfunk 15. Februar 2024
Geschichte der PsychiatrieVon Tollhäusern, Irrenanstalten und Krankenmorden
Beim Stichwort Psychiatrie denken viele auch heute noch an düstere Orte, an denen Patienten Ärzten ausgeliefert sind und gegen ihren Willen behandelt werden. Dieses weitverbreitete Bild sogenannter Nervenheilanstalten ist historisch gewachsen.
Tran, Anh | 15. Februar 2024, 16:30 Uhr
Oliver Falk als Experte in der MDR-Dokureihe Past Forward "Mental Health. Ist das Tabu Geschichte?"
!3. März 2024
Bericht des Tagesspiegels vom 30. Juli 2024 über das Teilprojekt von Viola Balz
Nolte, Karen und Steff Kunz: Lesbische* Frauen* in einer westdeutschen Psychiatrie in den ersten Nachkriegsjahren. Zeitgeschichte-online (2023)
https://zeitgeschichte-online.de/themen/lesbische-frauen-einer-westdeutschen-psychiatrie-den-ersten-nachkriegsjahren.
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Klöppel. Ulrike: Queere Zeitgeschichte. Einleitung, in: Zeitgeschichte-online (2023)
https://zeitgeschichte-online.de/themen/queere-zeitgeschichte.
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Frederik Seeler im Interview mit Ulrike Klöppel: "Intersexualität", in: Spiegel Geschichte, Nr. 4 (2023), 62-66.
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Interview mit Thomas Röske und Hartmut Kraft, „Kunst für die Psyche. Eine neue Ordnung gestalten“, „Psychologie heute“: 20.3.2023
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